Erste Zahlen der Bundesregierung
Rund 250 trans Menschen beantragten Änderung des Geschlechtseintrags
Während die dritte Geschlechtsoption „divers“ kaum gefragt ist, wurden zahlreiche Anträge zur Änderung des Personenstands von „männlich“ zu „weiblich“ bzw. umgekehrt gestellt, ergab eine Anfrage der Grünen.
Vor dem Bundeskanzleramt demonstrierten Aktivist*innen im vergangenen Jahr (erfolglos) für einen selbstbestimmten Geschlechtseintrag (Bild: rbb|24 / twitter)
Seit 1. Januar gilt in Deutschland ein neues Personenstandsrecht. Während die neue Geschlechtsoption „divers“ nach einer dpa-Umfrage bei Standesämtern von intergeschlechtlichen Menschen bislang kaum genutzt wird (queer.de berichtete), gab es bislang rund 250 Anträge mutmaßlich von trans Personen auf Änderung des Geschlechtseintrags. Dies geht aus einer Antwort des Bundesinnenministeriums auf eine Kleine Anfrage des Grünen-Abgeordneten Sven Lehmann hervor (PDF).
„Im Zeitraum 22. Dezember 2018 bis 31. März 2019 wurden in 14 Bundesländern (die Daten von Niedersachsen und Schleswig-Holstein liegen derzeit nicht vor) in 114 Fällen eine Änderung des Personenstandes von ‚männlich‘ zu ‚weiblich‘ und in 106 Fällen von ‚weiblich‘ zu ‚männlich‘ auf Grundlage des § 45b des Personenstandsgesetzes (PStG) beantragt“, erklärte Innen-Staatssekretär Hans-Georg Engelke. Hochgerechnet kommt man damit auf rund 250 entsprechende Anträge. „Die Bundesregierung hat keine Erkenntnisse darüber, wie viele Fälle positiv oder negativ beschieden wurden und wie die Altersstruktur der Antragsteller war.“
Regierung wirft trans Menschen Missbrauch des Gesetzes vor
Das Bundesinnenministerium sieht in diesen Anträgen einen Missbrauch des neuen Gesetzes. „Es ist eindeutig, dass die in Kraft getretene Neuregelung ausdrücklich nicht für transsexuelle Menschen gilt“, erklärte ein Sprecher Mitte April gegenüber queer.de (queer.de berichtete). „Transsexuelle haben nämlich ein eindeutiges biologisches Geschlecht, fühlen sich aber nicht dem Geschlecht zugehörig, das bei der Geburt im Geburtenregister eingetragen wurde. Für transsexuelle Menschen sind nach wie vor die Regeln des Transsexuellengesetzes maßgeblich.“ Dieses verlangt jedoch ein viel aufwendigeres und teures psychologisches Gutachten als Nachweis, dass Menschen ihren Geschlechtseintrag wirklich anpassen lassen wollen.
In einem Rundschreiben drohte das Innenministerium Ärzt*innen sowie Standesbeamten vor zwei Wochen mit teilweise strafrechtlichen Konsequenzen, falls sie trans Menschen einen Wechsel des Personenstandes ermöglichen.
Lehmann: Seehofer muss „Drohkampagne“ einstellen
Der Grünen-Abgeordnete Sven Lehmann forderte Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) auf, seine „Drohkampagne“ sofort einzustellen. „Wer ein handwerklich schlechtes Gesetz verabschiedet, der muss nun mit den Konsequenzen leben, statt anderen die Schuld in die Schuhe zu schieben und inter- und transgeschlechtlichen Menschen das Leben weiter schwer zu machen.“ Die Grünen hätten von Beginn an vor einem „Sondergesetz für Intersexuelle“ gewarnt. „Wir haben immer gefordert, das Urteil des Bundesverfassungsgerichtes umzusetzen, das Transsexuellengesetz abzuschaffen und durch ein modernes Gesetz zur Anerkennung der Geschlechtervielfalt und Selbstbestimmung zu ersetzen.“
Der Bundestag hatte die Reform des Personenstandsrechts inklusive der Einführung einer dritten Geschlechtsoption Mitte Dezember beschlossen (queer.de berichtete). Damit setzte das Parlament eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts aus dem November 2017 um. Die bisherige Pflicht, einen Menschen dem männlichen oder weiblichen Geschlecht zuzuordnen, wurde darin als Verstoß gegen das Persönlichkeitsrecht und das Diskriminierungsverbot gewertet (queer.de berichtete).
Weder Ärzte noch Betroffene machten sich strafbar
Zur Änderung des Geschlechtseintrags müssen Menschen ein ärztliches Attest vorlegen, aus dem hervorgeht, dass eine „Variante der Geschlechtsentwicklung“ vorliegt. Lehmann sieht in der Ausstellung entsprechender Bescheinigungen auch für trans Personen kein Problem: „In der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zur Dritten Option wird das subjektive Geschlechtsempfinden stark betont. Daher kann eine Person bekunden, bei ihr liege eine ‚Variante der Geschlechtsentwicklung‘ vor“, erklärte der Grünen-Politiker. „Ärzt*innen haben keine Instrumente, um das zu überprüfen und etwas anderes zu behaupten.“
Auch die Betroffenen machten sich keinesfalls strafbar, so Lehmann. „Wenn sie gegenüber Ärzt*innen versichern, dass sie eine ‚Variante der Geschlechtsentwicklung‘ haben, kann grundsätzlich niemand dem widersprechen.“
Gegenüber dem Standesamt sei die Rechtslage ebenfalls eindeutig: „Wenn eine Person mit dem Attest zum Standesamt geht, dann muss der Personenstand geändert werden“, sagte der Bundestagsabgeordnete. „Der Gesetzgeber hat in der Gesetzesbegründung ausdrücklich klargestellt, dass die Ärzt*innen ihre Diagnose nicht begründen brauchen. Daher dürfen Standesbeamt*innen weder nach Diagnose noch nach Geschlechtsidentität fragen.“
Wenn die Behörde dem Antrag nicht stattgibt, untätig bleibt bzw. Fristen nicht einhält, sollten Betroffene vor dem Amtsgericht klagen, so der Grünen-Politiker. (cw)
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