Varianten der Geschlechtsentwicklung (Uniklinik Ulm)

Schwerpunkt DSD (Varianten der Geschlechtsentwicklung, engl. „differences of sex development“)

Varianten der Geschlechtsentwicklung umfassen eine heterogene Gruppe von seltenen, angeborenen Abweichungen von der typischen Geschlechtsentwicklung. Diese Abweichungen können die geschlechtliche Determinierung, also die Festlegung der Keimdrüsen (Gonaden) in Richtung weiblich oder männlich im Embryo, und/oder die geschlechtliche Differenzierung, also die geschlechtsspezifische Entwicklung des inneren und äußeren Genitals im Embryo, betreffen.

Die geschlechtliche Determinierung wird initiiert durch ein feinabgestimmtes genetisches Entwicklungsprogramm, das ein komplexes Netzwerk von Genen umfasst. Die geschlechtliche Differenzierung der Genitale umfasst Entwicklungsvorgänge, die durch die Produktion von Sexualhormonen (beispielweise Testosteron oder Östradiol) und deren Wirkung kontrolliert werden. Veränderungen in den relevanten Genen (Mutationen) können diese Entwicklungsvorgänge beeinträchtigen.

Es wird davon ausgegangen, dass (neben der Genitalentwicklung) nahezu alle Gewebe und Organe einer geschlechtsspezifischen Entwicklung unterliegen, die durch unterschiedliche Genexpressionsmuster geprägt ist. So konnte auch gezeigt werden, dass sich das menschliche Gehirn ebenfalls geschlechtsspezifisch entwickelt. In diesem Zusammenhang kommt der Begriff des psychischen Geschlechts zum Tragen, das unter anderem das geschlechtsspezifische Verhalten, die sexuelle Orientierung und die Geschlechtsidentität beinhaltet.

Bei Menschen mit Varianten der Geschlechtsentwicklung kann eine Einordnung zum männlichen oder weiblichen Geschlecht schwierig oder unmöglich sein. Hierbei können medizinische Maßnahmen (wie Hormontherapien oder Genitaloperationen) eingesetzt werden, um das Geschlecht zu vereindeutigen oder die Zuordnung zu einem Geschlecht zu ermöglichen.

DSD beinhaltet eine Vielzahl von Diagnosen in unterschiedlichen Ausprägungen. Oftmals ist keine eindeutige genetische Diagnose möglich. Der Zeitpunkt der Diagnosestellung kann sehr verschieden sein, beispielsweise direkt nach der Geburt, im Kinderalter, sehr häufig während der Pubertät oder erst später im Erwachsenenalter. Je nach Ursache, Ausprägung und Zeitpunkt der Diagnosestellung stellen sich vielfältige medizinische und ethische Fragen zur weiteren Versorgung der Betroffenen, wie unter anderem Art, Umfang und Ziel einer Behandlung. Hierbei sind eine spezialisierte medizinische Fachexpertise und Erfahrung sowie ein sensibler Umgang mit Betroffenen gleichermaßen wichtig wie eine umfassende Aufklärung der Betroffenen und deren Angehöriger. Eine sorgfältige Bewertung aller präventiven, diagnostischen und therapeutischen Maßnahmen unter Berücksichtigung und Abwägung aller psychosozialen, ethischen sowie rechtlichen Aspekte ist bei der Betreuung und Therapie von Menschen mit DSD erforderlich.

Der deutsche Ethikrat hat im Jahr 2012 eine umfangreiche Stellungnahme zum Thema DSD veröffentlicht, die sich auch in den Empfehlungen der Bundesärztekammer aus dem Jahr 2015 widerspiegelt. Im Jahr 2016 wurde in Übereinstimmung von Betroffenenverbänden und medizinischen Fachgesellschaften eine S2K-Leitlinie „Varianten der Geschlechtsentwicklung“ veröffentlicht, die konsentierte Empfehlungen zur Versorgung von Menschen mit DSD in den Bereichen Medizin, Psychologie und Selbsthilfe berücksichtigt.

Interdisziplinäre Versorgung im Rahmen des ZSEE

Menschen mit Varianten der Geschlechtsentwicklung werden am Universitätsklinikum Ulm unter dem Dach des Zentrums für Seltene Erkrankungen (ZSE) im Fachzentrum für Seltene Endokrine Erkrankungen (ZSEE) von ausgewählten Experten leitliniengerecht im Rahmen eines interdisziplinären Ansatzes betreut.

Bei der Diagnostik und Therapie arbeiten Experten aus folgenden Bereichen des Universitätsklinikums Ulm eng zusammen:

Ein Gedanke zu „Varianten der Geschlechtsentwicklung (Uniklinik Ulm)“

  1. Hinweis in eigener Sache:
    Die Uniklinik Ulm erwähnt hier im vierten Absatz:

    „Hierbei können medizinische Maßnahmen (wie Hormontherapien oder Genitaloperationen) eingesetzt werden, um das Geschlecht zu vereindeutigen“

    Ich persönlich distanziere mich deutlich von Genitaloperationen um das Geschlecht zu „vereindeutigen“. Wir sprechen auch von Genitalverstümmelung. Für mich steht hier die Definition von DSD / Variante der Geschlechtsentwicklung im Fokus und ist m.E. hilfreich. Das bedeutet nicht, dass ich Operationen an den Genitalien billige oder gar befürworte. Das verurteile ich aufs Schärfste. Ich bin gegen die Verstümmelung von Kindern, die nicht in der Lage sind selbst zu bestimmen ob sie eine OP wünschen oder nicht. Der Begriff „Selbstbestimmung“ steht bei mir ganz vorne. Ich bitte darum das nicht zu vermengen, ich trenne diese Dinge ganz strikt.

    LGJM

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