Gestatten: Jay Schnorrer, divers (onetz.de vom 08.08.2019)

Gestatten: Jay Schnorrer, divers

355 Menschen in Deutschland haben nach der Änderung des Personenstandsgesetzes für das dritte Geschlecht einen neuen Vornamen gewählt, 72 sind nun divers. Auch Jay Schnorrer aus Schwandorf.

Jay Schnorrer aus Schwandorf freut sich über den aktualisierten Auszug des Geburtenregisters.
von Elisabeth SallerKontakt Profil

Aus Julia Schnorrer ist nun offiziell Jay Schnorrer geworden. Julia hatte im Frühjahr einen Antrag auf Änderung des im Geburtenregister notierten Geschlechts von „weiblich“ auf „divers“ gestellt und wollte auch ihren Vornamen wechseln. Diesen Anträgen wurde nun stattgegeben, Schnorrer erhielt einen Auszug aus dem aktualisierten Geburtenregister.

27 Jahre lang hat Jay als Mädchen und Frau gelebt. Bis Schnorrer vor einem Jahr beschlossen hat, sich nicht weiter in das binäre Geschlechtermodell einzuordnen, weil sich Julia nicht als Frau (und auch nicht als Mann) fühlte. So wurde aus Julia Jay.

Die Freude ist nun groß: „Mein Antrag hat geklappt! Bin nun seit 31. Mai offiziell Jay, divers.“ Dabei hatte Jay zunächst Bedenken, dass der Antrag durchgeht. Im Oktober hatte Schnorrer ihn beim Bürgeramt am aktuellen Wohnort in Berlin-Steglitz abgegeben. Anfang Mai meldeten sich die Beamten und forderten eine ärztliche Bescheinigung. Dafür reicht ein Schreiben eines Hausarztes. Der Text in Jays Dokument ist nur drei Zeilen lang: „Ich bescheinige hiermit, dass bei der oben genannten Person eine Variante der Geschlechtsentwicklung vorliegt.“ Unterschrift des Arztes, Stempel, fertig.

Drei Zeilen Text vom Arzt

Nachdem das Schreiben im Amt abgegeben war, erhielt Jay eine Einladung zu einem persönlichen Gespräch. „Das war’s dann.“ Im Juni kam ein Auszug aus dem aktualisierten Geburtenregister an: Jay Schnorrer heißt nun ganz offiziell so und ist divers. Das Gefühl? Unbeschreiblich. „Es ist ein bisschen Legitimation, die es nicht brauchen dürfte.“

Jetzt kümmert sich Schnorrer darum, den neuen Vornamen in der Uni, bei der Bank und bei Versicherungen eintragen zu lassen. Damit gebe es kaum Probleme. Allerdings sei in vielen EDV-Systemen als Geschlechtsangabe nur männlich und weiblich möglich. Ein Feld mit „divers“ existiere nicht, berichtet Jay, in Regensburg geboren und in Schwandorf aufgewachsen. So war es etwa an der Uni, als Jay einen neuen Studentenausweis beantragte. Doch die Uni-Mitarbeiter bemühten sich. Ende Juli schrieb eine Angestellte der Verwaltung: „Wir freuen uns, Ihnen mitteilen zu können, dass wir die geschlechtliche Zuordnung ‚divers‘ nun in Ihrem Datensatz verarbeiten konnten.“

Doch damit ist es nicht getan. Jeder automatisch generierte Brief erreiche den Adressaten mit „Frau“ oder „Mann“. „Im deutschsprachigen E-Mail-Verkehr werde ich mit Herr Schnorrer angesprochen“, erzählt Jay. Den neuen Vornamen halten einige für einen männlichen.

Jay Schnorrer ist nun auch offiziell divers.
GENDERGERECHTE SPRACHE?:

Wie schreibe ich über eine Person, die nicht Mann, nicht Frau, sondern divers ist? Und was ist eigentlich gendergerechte Sprache? Ich stehe vor einem Problem.

Einige Unis sprechen ihre Studenten seit einiger Zeit mit „Liebe Studierende“, „Liebe Student_innen“ oder „Liebe Student*innen“ an, um nicht nur Frauen und Männer, sondern auch alle anderen anzusprechen. Der Duden und der Rat für deutsche Rechtschreibung haben noch keine Variante anerkannt. Der Rat wolle die Entwicklung in den nächsten Jahren weiter beobachten, teilt Mitglied Bernward Loheide mit. Über einen Ausdruck für das dritte Geschlecht werde nur in Deutschland rege diskutiert. In Österreich oder der Schweiz sei das kaum ein Thema.

Ähnlich ist es beim persönlichen Fürwort (Personalpronomen): „sie“ passt bei Jay Schnorrer nicht mehr, „er“ geht gar nicht, „es“ klingt abwertend. Jay verwendet „they/them“ für sich. Doch Englisch vermeiden wir in unseren Artikeln. Im Internet finde ich eine lange Liste mit Vorschlägen (nibi.space/pronomen) wie „sir“. „Formen wie ‚sir‘ … sind Kunstwörter, die mit dem allgemeinen Sprachgebrauch wenig bis nichts zu tun haben und den Lesefluss empfindlich unterbrechen“, meint Loheide, Leiter des dpa-Landesbüros Baden-Württemberg. Der Rat sei der Meinung, dass das generische Maskulinum weiterhin ein Ausdrucksmittel für gendergerechte Schreibung sein kann. Das generische Maskulinum ist etwa ein Ausdruck wie „Liebe Studenten“, der aussieht wie die männliche Form, aber eine Gruppe bezeichnet, die nicht nur aus Männern bestehen muss. Loheide: „In diesem Sinne würde ich auch Ihre Frage der richtigen Pronomina beantworten: ‚Jay und sein besonderes Sprachproblem‘.“

Alle Vorschläge erscheinen mir als Kompromiss, nicht als Lösung. Ich versuche, ohne Fürwörter auszukommen, um das Problem zu umgehen. Das kann man als mutlos bezeichnen. Doch der Text ist lesbar und leicht verständlich – mein Hauptziel. Gendergerecht ist er dadurch auch.

Umstellung für die Eltern

In Sachen Aufklärung bei Varianten der Geschlechtsentwicklung gibt sich Jay allerdings nicht mehr so kämpferisch wie noch im Frühjahr. Schnorrer hat gemerkt: „Nicht immer passt der Zeitpunkt für eine Diskussion“ um das dritte Geschlecht. Für die meisten Leute, auf die man nur kurz treffe, zum Beispiel an der Kasse im Supermarkt, sei es gar kein Thema, wen genau sie nun vor sich haben. „Aufklärungsapostel will ich nicht sein. Aber wenn es passt, diskutiere ich gerne“, sagt Jay. Dabei hat Schnorrer bemerkt, dass viele Leute nicht intolerant sind, sondern sich einfach noch nicht mit dem Thema befasst haben.

Allerdings ist Jay bei den eigenen Eltern weniger kulant: „Jay bin ich nun überall, aber zu Hause bin ich Julia.“ Schwierige Situation. Schnorrer fragte die Eltern, ob sie zu Jay übergehen könnten. „Sie bemühen sich – und das ist total schön.“

So wurde aus Julia Jay

SCHWANDORF
355 NEUE VORNAMEN:

Nach Angaben der Bundesregierung durften von 1. Januar bis 31. März 2019 in Bayern 12 Personen die Geschlechtsangabe im Geburtenregister auf „divers“ ändern, so viele wie in keinem anderen Bundesland. 29 Bayern haben außerdem einen neuen Vornamen gewählt. Am meisten Namensänderungen gab es demnach in Nordrhein-Westfalen (55). In Deutschland haben sich laut Antwort der Regierung auf eine Anfrage der Grünen in dem Zeitraum 72 Personen für eine Änderung ihres Geschlechts in „divers“ entschieden, 355 haben einen neuen Vornamen beantragt. Zum Alter der Antragsteller gibt es keine Angaben.

Mit der Änderung des Personenstandsgesetzes zum 1. Januar hat der Bundestag auf ein Urteil des Bundesverfassungsgerichtes reagiert und eine dritte Option beim Geschlechtseintrag im Geburtenregister geschaffen.

Diese Änderung bietet „eine zusätzliche Eintragungsmöglichkeit für Personen … , die eine Variante der Geschlechtsentwicklung aufweisen und damit weder dem weiblichen noch dem männlichen Geschlecht eindeutig zugeordnet werden können“, teilt die Bundesregierung mit.

Grundsätzlich gelte aber laut Gericht: „Da das Geschlecht maßgeblich für die Zuweisung von Rechten und Pflichten sein kann und von ihm familiäre Zuordnungen abhängig sind, ist es ein berechtigtes Anliegen des Gesetzgebers, dem Personenstand Dauerhaftigkeit und Eindeutigkeit zu verleihen, ein Auseinanderfallen von biologischer und rechtlicher Geschlechtszugehörigkeit möglichst zu vermeiden und einer Änderung des Personenstands nur stattzugeben, wenn dafür tragfähige Gründe vorliegen und ansonsten verfassungsrechtlich verbürgte Rechte unzureichend gewahrt würden.“ (esa)


TRANSIDENT ODER TRANSSEXUELL? EIN GLOSSAR:

Geschlechtsidentität ist vielfältig, und ebenso zahlreich sind die Begriffe, mit der Menschen diese beschreiben. (dpa)

  • TRANSSEXUALITÄT: Bezeichnet das starke Gefühl, mit dem «falschen» Geschlecht auf die Welt gekommen zu sein. Den Betroffenen ist es oft ein Bedürfnis, ihren Körper mit Hormonen oder mit Operationen dem bevorzugten Geschlecht anzugleichen. Der Begriff transsexuell stammt aus einem medizinischen Kontext, viele Menschen lehnen ihn inzwischen ab und verwenden alternative Bezeichnungen.
  • TRANSGENDER: Umfasst alle Menschen, die sich nicht mit dem Geschlecht identifizieren, das ihnen bei der Geburt zugewiesen wurde. Das soziale Geschlecht (engl: gender) entspricht oft nicht dem biologischen. Der Begriff Transgender stellt das soziale Geschlecht folglich in den Mittelpunkt. Nicht jeder Transgender-Mensch möchte seinen Körper so verändern, wie es viele Transsexuelle wollen.
  • TRANSIDENT: Legt den Schwerpunkt auf die Identität und verzichtet ebenfalls auf den teils irreführenden Begriff der Sexualität. Transident kann auch als deutsche Version des englischen Wortes transgender verstanden werden.
  • TRANS*: Ist ein Oberbegriff, der die verschiedenen Gruppen zusammenfasst. Das soll Offenheit signalisieren und auf die Vielfalt von Selbstbildern hinweisen, die im Laufe eines Lebens wechseln können. Manche reden hier von transgeschlechtlichen Menschen.
  • TRANSVESTIT: Menschen, die das Bedürfnis haben, immer mal wieder für längere oder kürzere Zeit in die Kleidung des anderen Geschlechts zu schlüpfen, etwa als Kostüm oder als Fetisch. Auch Haare, Accessoires und Bewegungsstil passen sie an – und zwar im Bewusstsein, diesem Geschlecht nicht anzugehören.
  • CIS-MENSCHEN/CISGENDER: Wer sich mit dem Geschlecht identifiziert, das ihm bei Geburt zugewiesen wurde, wird Cis-Mensch genannt. Dies trifft auf den weitaus größten Teil der Bevölkerung zu. Das lateinische «cis» bedeutet «diesseits» – als Gegenwort zu «trans», «jenseits» und «über».